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Chloranisole – Muffige Biozid-Begleiter
Ein Beitrag aus dem Kitting 2024 von Stefan Pointner und Bernhard Damberger, IBO Innenraumanalytik OG

Muffige Gerüche in Gebäuden? Da denkt man wohl zuallererst an Schimmel. Doch was die ungeübte Nase mit Schimmel assoziiert, kann auch eine andere, weit weniger bekannte Ursache haben.

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Seit der Mensch Gebäude errichtet, ist Holz ein wesentlicher Baustoff dafür. Von den Pfahlbauten der Jungsteinzeit über klassische Fachwerkbauten bis hin zu modernen Holzriegelbauten fand und findet Holz sowohl als tragendes Material als auch im Innenausbau Verwendung. Um Holz als Naturprodukt gegenüber Einflüssen aus der Natur – insbesondere Feuchtigkeit und holzzerstörende Organismen – zu schützen und länger nutzbar zu machen, wurden seit jeher Teere, Harze und Öle verwendet, mit Aufkommen der modernen chemischen Industrie im 19. Jahrhundert zunehmend auch synthetische Mittel. Besondere Bekanntheit erlangten Verbindungen wie Lindan, DDT und PCP, deren Einsatz heute aufgrund vieler negativer Auswirkungen streng reglementiert ist. Vor allem in den 1970er-Jahren mit der Verbreitung neuer Holzwerkstoffe fanden diese Substanzen jedoch weitverbreitete Anwendung im Gebäudebau. Und genau in diesem Bereich führen sie auch heute noch zu Problemen.

Das Holzschutzmittel PCP (Pentachlorphenol) kann – unter geringer Feuchteeinwirkung – über lange Zeiträume mikrobiell zu Verbindungen aus der Stoffgruppe der Chloranisole abgebaut werden. Diese sind im Gegensatz zu den Ausgangssubstanzen nicht direkt gesundheitsschädlich, können aber durch den intensiven, als sehr störend empfundenen Geruch psychosoziale Probleme verursachen. Denn der Geruch haftet auch nach dem Verlassen eines betroffenen Gebäudes an Kleidung und Haaren. Er ist oft erst durch mehrmaliges Waschen zu beseitigen. Bewohner:innen solcher Gebäude umgibt dauerhaft ein Geruch, der von anderen als unangenehm und mit Schimmel bzw. mangelnder Hygiene assoziiert wahrgenommen wird. Dieses Phänomen wird in der Literatur auch als Fertigteilhausgeruch oder Fertighausgeruch bezeichnet.

Die Chloranisol-Problematik tritt in den letzten Jahren verstärkt in Fertigteil-Wohnhäusern aus den 1970er-Jahren, aber auch anderen Gebäuden wie beispielsweise in vielen Schulen auf. Schüler:innen, Eltern und Lehr-Personal klagen hier über den intensiven Geruch, der sie bis nach Hause begleitet, und dessen Quelle und Ursachen ihnen unbekannt sind. Wir kennen Gebäude, in denen der Geruch seit Jahrzehnten existiert und die Nutzer:innen sich daran gewöhnt haben oder es normal geworden ist, dass die Schüler:innen nach der Schule frisches Gewand anziehen müssen. Es gibt jedoch auch Fälle, wo der Geruch erst nach Feuchtigkeitsschäden auftritt, oder wenn die Nutzung des Gebäudes vom Wohnhaus zum Wochenendhaus übergeht und in den Wintermonaten nicht mehr durchgeheizt wird. Durch das geringe Heizen kann es zu erhöhter Feuchtigkeit in Fußbodenaufbauten oder Wandkonstruktionen kommen, und der mikrobielle Abbau von PCP beginnt und führt zum beschriebenen Geruchsproblem. In Fußbodenaufbauten bzw. Wandkonstruktionen wurde Holz in der Regel mit Bioziden wie Xyladecor oder Xylamon behandelt, die PCP und Lindan enthielten. Heute werden diese Produkte mit anderen Wirkstoffen hergestellt.
     
Zur Lösung des Chloranisol-Problems erfolgt in der Regel zuerst eine Begehung des betroffenen Objektes. Im Zuge dieser kann der Geruch durch die Geruchs-Expert:innen dezidiert der Chloranisol-Problematik zugeordnet werden. Auch eine Probenahme zum chemisch-analytischen Nachweis der Substanzen kann gegebenenfalls sinnvoll sein. Anschließend müssen Geruchs-Quellen lokalisiert und identifiziert werden. Je nach Verwendungsort in der Gebäudekonstruktion und Exposition des behandelten Holzes gegenüber Feuchtigkeit kann sich die Geruchsbildung auch auf einzelne Gebäudeteile wie z.B. den Turnsaal der Schule oder Erdgeschoß-Räume beschränken. Hat man mehrere verdächtige, mit Holzschutzmittel behandelte Bauteile gefunden, können Geruchsprüfungen und chemische Analysen von Materialproben der Identifizierung der Quelle dienen. Die bevorzugte Sanierungsmaßnahme ist ein vollständiger Rückbau betroffener Bauteile. Ist dies nicht möglich oder der technische Aufwand zu hoch, muss eine möglichst vollständig luftdichte Isolierung der Bauteile angestrebt werden. Begleitende Maßnahmen wie die Verwendung photokatalytischer Wandfarben zum Abbau von Geruchsstoffen oder der Einbau einer mechanischen Lüftungsanlage zur Erhöhung des Frischluftwechsels in betroffenen Räumen, erhöhen die Chancen eines Sanierungserfolgs.
     
Meist soll ein betroffenes Gebäude bis zur Fertigstellung der Sanierung weiter genutzt werden. In größeren Gebäuden wie Schulen erfolgt die Sanierung oft abschnittsweise Raum für Raum. Wichtig sind in diesem Zusammenhang Messungen der Konzentration an Bioziden in der Raumluft genutzter Räume. Die muffigen Chloranisole sind aus gesundheitlicher Sicht nur die Begleiter der wesentlich relevanteren Biozide. Mit Hilfe einer Raumluft-Untersuchung kann die tatsächliche Belastung in einem Raum gut eingeschätzt und die Sinnhaftigkeit begleitender Maßnahmen beurteilt werden.

Ein Punkt, den es für das Gelingen einer Chloranisol-Sanierung zu beachten gilt, sind sogenannte „Sekundärquellen“. Da in der Regel eine lange Zeit vergeht zwischen dem ursprünglichen Einsatz der Holzschutzmittel, der mikrobiellen Umsetzung zu Chloranisolen, der Verbreitung des Geruchs und der Wahrnehmung durch eine Mehrzahl von Personen bis hin zur akzeptierten Einschätzung, dass hier ein Problem vorliegt, das einer aufwändigen Lösung bedarf, können die Geruchsstoffe durch andere Materialien im Raum kontinuierlich aufgenommen werden. Wird die primäre Geruchsquelle durch die Sanierung entfernt, werden diese Materialien zu sogenannten „Sekundärquellen“, geben also wieder Geruchsstoffe an die Raumluft ab, wodurch es erneut zu einer Geruchsbelästigung durch Chloranisole kommt. Deshalb ist es bereits im Zuge der Sanierungsplanung wichtig, mögliche Sekundärquellen zu identifizieren und entsprechend zu behandeln oder zu ersetzen. Auch in diesem Fall können photokatalytische Anstriche und eine Erhöhung des Frischluftwechsels zum Gelingen der Sanierung beitragen.

Kontakt

Schema zur Entstehung von Chloranisolen durch mikrobielle Umsetzung. Rote Pfeile zeigen den Hauptreaktionsweg. (Nach: Fraunhofer WKI)
Aula eines Schulgebäudes
© IBO Innenraumanalytik OG
Typischer Turnsaal einer Schule
© IBO Innenraumanalytik OG
Ursache des muffigen Geruchs in einer Schule: Mit Holzschutzmitteln behandelte Polsterhölzer im Fußbodenaufbau
© IBO Innenraumanalytik OG
Bei der Sanierung sollten auch kleine Mengen behandelten Holzes nicht übersehen werden, wie bspw. hier unter einer Türschwelle
© IBO Innenraumanalytik OG
Poröse Deckenelemente einer abgehängten Decke als mögliche Sekundärquellen für Chloranisole
© IBO Innenraumanalytik OG