Das ambitionierte Ziel, ein in Errichtung und Nutzung – im Rahmen der baurechtlichen Möglichkeiten – ressourcenschonendes Gebäude, das sich weitestgehend in den Materialkreislauf einfügen lässt und unter Beteiligung der künftigen Nutzenden geplant wird, soll im Bauprojekt vis-á-vis erreicht werden.
Damit ist das Projekt den Zielen der Smart Klima City Strategie, wonach kreislauffähiges Planen und Bauen zur maximalen Ressourcenschonung ab 2030 Standard bei Neubau und Sanierung sein sollen, voraus. Neue Gebäude sollen so geplant werden, dass Baustoffe am Ende weitgehend wiederverwendet bzw. weiterverwertet werden können. Im Programm DoTank Circular City Wien 2020-2030, einem Leitprojekt der Wirtschaftsstrategie WIEN 2020, ist sogar eine Adaptierung der Wiener Bauordnung an die Vorgaben der Kreislaufwirtschaft geplant.
Doch nicht nur hinsichtlich der ökologischen Gesichtspunkte ist das Projekt vis-á-vis ein Leuchtturm. Die Planung erfolgte unter Mitwirkung der Baugruppe Vis-á-Wien im Rahmen eines co-kreativen Prozesses, womit einerseits eine hohe Zufriedenheit unter den künftigen Bewohner:innen mit ihrer Wohnsituation, andererseits durch den intensiven Austausch untereinander ein hoher sozialer Mehrwert für die Baugruppe geschaffen wird. Nachdem es sich bei dem Bauvorhaben um einen geförderten Wohnbau handelt, sind die ökonomischen Kriterien ebenfalls ein wichtiger Aspekt bei Planung und Ausführung.
Um vis-á-vis im ökologischen Kontext verorten zu können, werden im Rahmen des Forschungsprojektes KLIMADEMO vis-á-vis unter der Leitung von einszueins architektur in Zusammenarbeit mit feld72, RWT PLUS ZT GmbH, dem Bauträger Schwarzatal, der Baugruppe Vis-á-Wien und dem IBO Vergleichsberechnungen zu CO2-Emissionen unterschiedlicher Ausführungsvarianten angestellt.
Die geplante und voraussichtlich zur Ausführung kommende Konstruktion erfolgt in Holzbauweise (Variante 1). Lediglich dort, wo aus brandschutztechnischen bzw. statischen Gründen unbedingt erforderlich, kommt Stahlbeton zum Einsatz. Dem gegenüber stehen die Ausführungsvarianten in Stahlbeton-Skelettbauweise mit Holzfassade (Variante 2) sowie in reiner Stahlbetonbauweise mit Wärmedämmverbundsystem (WDVS) (Variante 3). Um die Optimierungspotentiale des geplanten Gebäudes ausloten zu können, wurden alle Bauteile von Variante 1 hinsichtlich ökologischer Gesichtspunkte überarbeitet (Variante 4).
Würde vis-á-vis in aktuell vorwiegend zur Ausführung gelangender Stahlbetonweise mit WDVS errichtet werden (Variante 3), lägen die CO2-Emissionen der Gebäudeerrichtung (Herstellungsphase A1-A3) rund 127 % höher als bei der Planungsvariante (Variante 1) (siehe Abb. 2). Selbst wenn lediglich die tragende Konstruktion in Stahlbeton und die Fassade in Holz errichtet werden würde (Variante 2), wären die CO2-Emissionen noch doppelt so hoch wie bei einer größtenteils in Holzbau ausgeführten Konstruktion (Variante 1). Das macht den enormen Einfluss der tragenden Struktur auf die Gesamt-CO2-Bilanz deutlich.
Der Vergleich mit Variante 4 zeigt, dass bei einer kompromisslos ökologischen Ausführung deutliches Potential bei der CO2-Reduktion besteht – die Emissionen könnten um rund 130 % gegenüber Variante 1 gesenkt werden. Dies würde allerdings bedeuten, gewisse Anforderungen an baurechtliche Vorgaben außer Acht zu lassen und ist demnach derzeit nicht umsetzbar. Zudem würden die größeren Dämmstärken eine Reduktion der Nutzfläche nach sich ziehen und damit die Wirtschaftlichkeit des Gebäudes verringert.
Neben der Betrachtung der Konstruktionsteile erfolgt ein Vergleich von unterschiedlichen haustechnischen Anlagen (Varianten Lüftungssysteme, PV in verschiedenen Ausführungsgrößen) hinsichtlich deren Auswirkungen auf die ökologische Lebenszyklusbetrachtung (Graue Energie und Betriebsenergiebedarf).
Diese vergleichende Darstellung ermöglicht, wesentliche Stellschrauben bei der Optimierung der Materialwahl bzw. der haustechnischen Systeme sichtbar zu machen. Erklärte Ziele sind, einen hohen Anteil an regenerativen Materialien zu verwenden, CO2 langfristig im Gebäude zu binden sowie den Betriebsenergiebedarf weitestgehend mittels regenerativer Energiequellen zu decken. Unter Einbindung der Bauteilvermittler:innen Materialnomaden sollen bei der Ausstattung der gemeinschaftlich genutzten Bereiche re:use-Bauteile zum Einsatz kommen.
Ein wesentlicher Aspekt des Forschungsprojektes ist, die Erkenntnisse auch außerhalb von Fachkreisen verständlich zu machen. Dazu werden die ermittelten ökologischen Kennzahlen grafisch aufbereitet (siehe Abb. 1 + 3) und ein Blog zur niederschwelligen Dokumentation und Verbreitung der Ergebnisse betrieben. Zudem finden regelmäßig Diskussionsveranstaltungen mit Expert: innen aus unterschiedlichen, projektrelevanten Disziplinen sowohl für die Baugruppe als auch interessierte Externe statt.
Der Bausektor wird von vielen Bereichen beeinflusst und hat ebenso Auswirkungen auf viele – die Baustoffindustrie und die dahinterliegenden Produktionsprozesse, die Energieversorgungsmöglichkeiten und damit verbundenen Betriebskosten, die Menschen, die diese Gebäude nutzen, Mobilität und Umwelt. Die aktuellen klima- und ressourcenbedingten Herausforderungen fordern ein rasches Umdenken – nicht nur, aber vor allem im Gebäudebereich. Dabei reicht es nicht, Häuser gut zu dämmen und regenerative Energiequellen zu nutzen. Es reicht auch nicht, die in den Gebäuden verbaute Graue Energie zu reduzieren und rückbaufähig zu planen. All diese Maßnahmen sind wichtig und notwendig, es ist jedoch für die Akzeptanz und damit Langlebigkeit eines Gebäudes essentiell, die künftigen Nutzer:innen – möglichst von Beginn an – einzubinden.
Dass bei diesem Projekt explizit die Kreislaufwirtschaft bei allen Beteiligten berücksichtigt wird, wird sicherlich das Bewusstsein dafür schärfen, dass wir mit Gebäuden im gesamten Lebenszyklus einen großen Hebel zu mehr Klimaschutz haben. Mit Projekten wie diesem könnte eine echte Transformation des Bauwesens gelingen.