An insgesamt 10 Use Cases aus unterschiedlichsten Baualtersklassen (Gründerzeit, Nachkriegsperiode bis 90 Jahre) wurden invasive Materialerhebungsmethoden (z.B. Kernbohrungen) mit nicht invasiven Messverfahren mittels GPR (Ground Penetrating Radar) gekoppelt, um daraus Trainingsdaten zur Entwicklung von Machine Learning Algorithmen zu entwickeln. Laserscans lieferten die detaillierten Geometriedaten der zum Teil komplexen, mehrfach umgebauten Gebäudesubstanz. Aufbereitet wurden die so erfassten Gebäude-Daten in BIM-Gebäudemodellen und BIM-Objektkatalogen, die automatisierte Gesamtmassenauswertungen erlaubten.
Über Gebäudenutzung, Objektgröße und Bauperiode der Gebäudeerrichtung wurden die ausgewerteten Materialien mit einer bestehenden Geoinformationssystem (GIS)-Datenbank verbunden. Dadurch wurde eine Hochskalierung und somit eine Prognose der verbauten Materialmassen für relevante Quartiere ermöglicht. Im Wesentlichen konnte damit ein gesamtheitliches Framework für die Gebäudeaufnahme im Bestand bis hin zur Hochskalierung von Materialmassen auf Stadtebene erstellt werden.
BIMstocks Gefahrenstoffklassifizierungssystem
Im Zuge des Projekts wurden eigene Gefahrenstoffkategorien entwickelt, die entweder zu einem erhöhten Aufwand bei Rückbau, Lagerung, Transport oder in der Aufbereitung und damit zu Abschlägen in der Einstufung führen oder die eine grundsätzliche Abwertung des End-of-Life Szenariums des belasteten Materials nach sich ziehen (z.B. energetische Beseitigung in Verbrennungsanlagen mit erhöhten Auflagen). Entsprechend den Baualtersklassen wurden relevante Gefahrenstoffe identifiziert und belastete Altbaustoffe klassifiziert.
Die Gefahrenstoffklassifizierung I bis III (bzw. im Gesamtbewertungskonzept mit den Klassen E bis G belegt, siehe auch Abbildung 1: End-of-Life Kategorien von Baustoffen, BNB Zirkularitätsindikator auf Seite 15) als das besondere Novum der BIMstocks-Bewertungsmethodik geht über die gesetzlich vorgeschriebene Klassifizierung von gefährlichen Abfällen hinaus. Sie erlaubt eine differenzierte Beurteilung, ob eine Schadstoffdekontamination über Aufbereitungstechnologien mit vertretbarem wirtschaftlichem Aufwand möglich ist und ob das Material danach Recyclingprozessen zugeführt werden kann.
Berücksichtigt wurden in der Gefahrenstoffklassifizierung:
- Schadstoffe der ÖN B 3151 (2022)
- abfallrelevante Schadstoffe der ÖN EN ISO 16000-32 (2004)
- Stoffe mit gefahrenrelevanten Eigenschaften der Abfallverzeichnisverordnung 2020
- POP-Abfälle und POP-Stoffe gemäß POP-Verordnung
- PBT-/vPvB-Stoffe gemäß Anhang XIII der REACH-Verordnung
- CMR-Stoffe der Kategorie 1A oder 1B gemäß CLP-Verordnung
- Stoffe, die von der RAC (dem Ausschuss für Risikobewertung der ECHA) bzw. vom SEAC (Committee for Socio-economic Analysis) zur Einstufung als Gefahrenstoff empfohlen wurden, deren Klassifizierung aber noch nicht endgültig erfolgt ist.
In Bezug auf treibhauswirksame Stoffe werden blinde Flecken der Abfallverzeichnis-Verordnung 2020 mit dem vorliegenden Klassifizierungssystem geschlossen. So werden in der Abfallverzeichnisverordnung lediglich die teilhalogenierten und vollständig halogenierten Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW und HFCKW) erfasst, die neben ihrer starken Klimawirksamkeit auch eine ozonschichtschädigende Wirkung (HP14 Klassifizierung) aufweisen. Viele Fluorkohlenwasserstoffe (F-Gase) haben dagegen keine oder nur eine geringe ozonschichtschädigende Wirkung, sind aber ebenfalls extrem treibhauswirksam, und ihre Verweildauer in der Atmosphäre ist enorm lang. Im Baubereich werden bzw. wurden F-Gase als Treibgas in Dämmstoffen oder als Bestandteil von (Schallschutz)-Verglasungen (SF6) eingesetzt. Durch das Klassifizierungssystem soll die Aufmerksamkeit auch auf diese Gefahrenstoffe gelenkt werden und Emissionen durch sachgerechte Entsorgung vermieden werden.
Systematisierung der Gefahrenstoffe
Die Gefahrenstoffklasse II (Klasse F) stellt die Default-Einstufungsklasse auf einer dreiteiligen Skalierung dar.
In Klasse E (oder Gefahrenstoffklasse I) dürfen Gefahrenstoffe nur dann gezählt werden, wenn sie zwar im Vergleich zu „ungefährlichen“ Abfällen einen erhöhten Aufwand beim Rückbau, bei der Sammlung oder bei der Abfallbehandlung verursachen, aber nach der Abfallbehandlung grundsätzlich einer Verwertung zugeführt werden können. Das ist nur dann möglich, wenn ihre gefahrenrelevanten Eigenschaften durch Aufbereitungs- oder Recyclingprozesse zur Gänze zerstört oder beseitigt werden (z.B. durch Einschmelzen alter Stein- oder Glaswolle mit alveolengängigen Fasern in Glasschmelzwannen). Auch Stoffe, für die eine relevante Gefahrenklassifizierung von RAC und SEAC empfohlen wird, aber aktuell noch nicht erfolgt ist, fallen unter die Kategorie E.
In die Gefahrenstoffklasse Gef III (Kategorie G) werden Baumaterialien dann eingestuft, wenn sie Gefahrenstoffe enthalten, die zu Sekundärkontaminationen von anderen Materialien führen oder die im Nutzungszustand an die Innenraumluft abgegeben werden (können), z.B. schwachgebundene Asbestprodukte (Spritzasbest, asbesthaltige Dichtschnüre oder Leichtbauplatten), PCB-haltige Fugenmassen in Gebäudedehnfugen, Anschlussfugen, Dichtungen oder PAK-haltige Materialien in Schüttungen, Teerpappen, Imprägnierungen oder teerhaltigen Korkplatten. Darüber hinaus werden Materialien mit Gefahrenstoffkontaminationen der Klasse III dann zugeteilt, wenn ihre umwelt- oder gesundheitsgefährdenden Eigenschaften extrem hohe Aufwände beim Rückbau, bei der Sammlung oder bei der Abfallbehandlung verursachen (wie z.B. HFCKW- oder FCKW-haltige XPS-, PUR-, PIR-Dämmungen). Damit sind in der Regel auch überdurchschnittlich hohe Entsorgungskosten, gegebenenfalls sogar Annahmeengpässe bei Entsorgungsfirmen verbunden.
Projektpartner
Projektleitung: TU Wien, Institut für interdisziplinäres Bauprozessmanagement‐ Integrale Bauplanung und Industriebau (TU‐IBAU)
IBO – Österreichisches Institut für Bauen und Ökologie GmbH; Ansprechpartner: Mag. Maria Fellner, Mag. Veronika Huemer-Kals, Mag. Hildegund Figl
TU Wien, Institut für Wassergüte, Ressourcenmanagement und Abfallwirtschaft (TU‐FAR)
TU Wien, Institut für Visual Computing & Human‐Centered Technology (TU‐VC)
TU Wien, Institut für Architekturwissenschaften, Digitale Architektur und Raumplanung (TU‐DAP)
Geosphere Austria, vormals Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG)
RM Umweltkonsulenten ZT GmbH (RMU)