Das Bauwesen ist einer der ressourcen- und energieintensivsten Wirtschaftszweige. Gewinnung, Produktion und Transport von Baumaterialien gehören zu den bedeutendsten Emittenten von CO2, auch die Entsorgung von Abbruch- und Aushubmaterialien ist mit erheblichem Aufwand verbunden.
In der EU entfallen rund die Hälfte der Werkstoffe und des Energieverbrauchs auf die Errichtung und Nutzung von Gebäuden.[1] Auch die Abfallmengen werden mit Aushub und Baustellenabfällen zum größten Teil dem Gebäudesektor zugeschrieben.
Rund 40 Mio. t Aushubmaterialien fallen in Österreich pro Jahr an – das sind rund 60 % des gesamten Abfallaufkommens (Abb. 1). Davon wurden 2021 ca. 26 Mio t deponiert (Abb. 2).
Mit der Deponierung des Aushubs gehen oft lange Transporte einher, die wiederum zur Erhöhung der CO2- und Lärmemissionen führen. Die bei der Herstellung von Bauprodukten benötigte Energie ('Graue Energie') verursacht teils hohe Treibhausgasemissionen – diese werden als Teil der gesamten Treibhausgasemissionen von Gebäuden zunehmend an Bedeutung gewinnen, da sich die Betriebs-Emissionen in Zukunft reduzieren werden.
Die EU-Kommission hat einen Schwerpunkt des European Green Deal mit dem Circular Economy Action Plan konkretisiert: demnach sollen Richtlinien und Verordnungen wie etwa die Bauproduktverordnung erweitert und die Recyclinganteile in Produkten sowie die sortenreine Nutzung von Bauprodukten erhöht werden, um deren Trennbarkeit und somit Wiedernutzbarkeit zu gewährleisten. Im EU-Rahmenwerk Level(s) wird die Überprüfung des gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes – also sowohl Herstellung, Nutzung als auch Rückbau – als Maßnahme empfohlen, bereits in einer frühen Phase der Gebäudeplanung nachhaltige Konstruktionen sichtbar zu machen. All diese Initiativen folgen einem Schritt weg von einer linearen hin zu einer zirkulären Bauwirtschaft, wozu Lehm einen wesentlichen Beitrag leisten kann.
Die geforderte CO2-Reduktion im Bauwesen und die Forderung nach kreislauffähigen Materialien und Konstruktionen hat zu einer Zunahme des Interesses am Baustoff Lehm geführt. Das IBO bearbeitet aktuell mehrere Forschungsprojekte [2] zum Einsatz von Lehm im Baubereich mit dem Ziel, Skepsis und Vorbehalte gegenüber Lehm auszuräumen. Wesentliches Ziel ist, Grundlagen zu schaffen, die eine breite Anwendung von Lehm im Baubereich unterstützen.
Regulatorische Rahmenbedingungen
Die Anwendung von Lehm in unterschiedlichen Einsatzbereichen erfordert die Beachtung der jeweils entsprechenden normativen Vorgaben. Eine bei Architekt:innen und Baufirmen im Rahmen des Projektes Clay to stay im Jahr 2021 durchgeführte Befragung ergab, dass fehlende gesetzliche und normative Vorgaben bzw. die Unsicherheit von deren Anwendbarkeit Hemmschwellen für die Lehmanwendung sind. Die aktuelle Situation stellt Planer: innen und Anwender:innen vor teils große Herausforderungen.
Zur Erhöhung der Rechtssicherheit bei der Anwendung von Lehm als Baustoff sollen Lücken in vorhandenen normativen Vorgaben geschlossen werden. Dies geschieht in Form einer Überprüfung von fachrelevanten Baunormen auf deren Anwendbarkeit für den Lehmbau sowie die Erarbeitung von Empfehlungen für die Ausführung. Als erster Schritt wurde im April 2024 eine technische Empfehlung für im Werk hergestellte Lehmputzmörtel (Abb. 3) als ergänzende Festlegung zu ÖNORM EN 13914-2 für Innenputze aus Lehm erarbeitet. Diese kann auf der Homepage des Netzwerks Lehm heruntergeladen werden.[3]
Lehm als Speichermasse – wirksam für thermische Behaglichkeit
Die Raumkühlung wird künftig einen wichtigen Stellenwert bei der Planung von Gebäuden einnehmen. Klimamodelle zeigen einen signifikanten Anstieg der jährlichen Mitteltemperatur in ganz Österreich mit einer Zunahme von Hitze- bzw. Sommertagen in naher Zukunft um etwa 4–10 Tage [4]. Die gesundheitliche Belastung der Bewohner:innen durch die sommerliche Überhitzung nimmt vor allem in Städten stetig zu und führt zu erhöhtem Energieverbrauch für gebäudeintegrierte Kühlung.
Permanent verfügbare, fossile Energiequellen werden durch teils fluktuierend verfügbare, jedoch klimaneutrale Quellen wie Sonne oder Wind ersetzt. In den letzten Jahren hat sich die thermische Bauteilaktivierung als Technologie etabliert, Wärme – gewonnen aus regenerativen Energiequellen – zeitverzögert an den Innenraum abzugeben. Das ermöglicht, ohnehin vorhandene Infrastruktur zu nutzen und nicht auf Speichersysteme, deren Produktion und Entsorgung meist massive negative Auswirkungen auf die Umwelt haben, zurückgreifen zu müssen. Als Speichermedium wird bislang meist Beton aufgrund seiner großen Masse eingesetzt. Diesen Ausgleich von Spitzenlasten (‚Lastverschiebung‘) durch Speicherung von Wärme bzw. Kälte kann Lehm ebenfalls leisten. In massive Lehmwände integrierte wasserführende Leitungen geben aus lokaler Wärmeerzeugung (z.B. Solarthermie) oder lokaler Stromerzeugung (z.B. Photovoltaik) unter Einsatz von Wärmepumpen gewonnene Wärme/Kälte an das Material und zeitverzögert in die Raumluft ab.
Temperierte Stampflehmwände können aufgrund ihrer großen Masse und Fläche mit niedriger Vorlauftemperatur betrieben werden, schaffen die Voraussetzungen für wirksame Energieflexibilität, entlasten Energienetze und können in der aktuellen Phase des großflächigen Umbaus von Gebäudeenergiesystemen inkl. Wärmeabgabequellen die Entscheidung für den Einsatz regenerativer Energiequellen erleichtern. Zudem hat Lehm feuchteregulierende Eigenschaften und kann damit kleine Mengen auftretenden Kondensats im Kühlbetrieb aufnehmen und wieder abgeben und so sowohl Bauschäden als auch Schimmelgefahr reduzieren.
In einem aktuellen Forschungsprojekt des IBO werden Planungsgrundlagen für die Herstellung und den Einsatz von temperierten Stampflehmbauteilen erarbeitet. Dafür wird eine Stampflehmwand mit integriertem Heiz-/Kühlregister im Prüfraum der AEE INTEC errichtet, die es ermöglicht, Fragestellungen hinsichtlich Energiebedarf, Heizleistung, Speicherfähigkeit und (Luft)Feuchteverhalten in kontrollierter Umgebung bearbeiten zu können. Die Untersuchungen sollen aufzeigen, inwiefern massive, temperierte Lehmbauteile bei schwankender Energieeinspeisung zu einem behaglichen Raumklima über vorab festgelegte Zeiträume beitragen und Energielastspitzen ausgleichen können.
Nutzung von Aushubmaterial – nachhaltiges Bauen in Reinkultur
Bei kaum einer anderen im Baubereich eingesetzten Ressource ist es möglich, das Material unmittelbar vor Ort zu gewinnen, aufzubereiten und an gleicher Stelle als Baustoff einzusetzen. Durch die Verwendung des vor Ort gewonnenen Lehms – sei es durch Straßenbau, Teich- oder Kelleraushub – entfällt sowohl der Abtransport des Aushubs als auch die Anlieferung alternativer Baustoffe für dieselbe Bauaufgabe, für die Lehm eingesetzt werden kann.
Lehm ist jedoch inhomogen und weist regional unterschiedliche Zusammensetzungen auf. Aus Ortlehm hergestellte Produkte sind nicht normiert, fehlende Prüfberichte sind eine hürdenreiche Herausforderung für Architekten und Bauherren. Aktuell fehlt die Verbindung zwischen dem Aushub und der Verwendung als Baumaterial – ein missing link, das es ermöglicht, das Material im Kreislauf zu halten. Das erfordert einerseits die Ausarbeitung von Kriterien zur Beschreibung des Aushubs und der Anforderungen für den Einsatz als Baustoff, andererseits die Infrastruktur für die Aufbereitung – im Idealfall direkt auf der Baustelle – sowie die rechtliche Grundlage zur Erreichung eines vorzeitigen Abfallendes von Aushub.
International existieren bereits Initiativen zur Nutzung von Aushub als Baumaterial
45 Millionen Tonnen Aushuberde wurden für die Arbeiten an der neuen Metrolinie in Paris prognostiziert. Um Abtransport und Entsorgung zu vermeiden, wurde im Projekt Cycle Terre in Paris (Sevran/Ivry) [5] geplant, ein Wohnhausensemble aus Lehmbaustoffen zu errichten. Dazu wurde an Ort und Stelle eine temporäre Fabrik zur Entwicklung verschiedener lehmbasierter Bauprodukte und für die Durchführung von Nachweisen über statische und baubehördliche Anforderungen installiert. Rund 120.000 Lehmziegel, 800 Tonnen Lehm(putz)mörtel sowie 500 Tonnen Stampflehm konnten im ersten Vertriebsjahr aus dem Aushubmaterial hergestellt werden.[6]
BC Materials [7] ist ein spin-off des Planungsbüros BC Architects mit dem Ziel, soviel wie möglich des in Brüssel anfallenden Aushubmaterials im Kreislauf zu halten. Für diesen Zweck wurde eine demontierbare und zirkuläre Produktionshalle auf einer Aushubdeponie in Brüssel errichtet, die sowohl für die Herstellung von Lehmbaustoffen (Lehmputz, gepresste Lehmsteine, Stampflehmmischungen) als auch für Schulungen für Interessierte dient. Das Material wird kostenfrei von Aushubfirmen zur Verfügung gestellt, aufgrund der just-in-time-Produktion werden keine Lagerflächen benötigt.
Darum Lehm
Lehm hat gegenüber konventionellen Baustoffen das höchste Potential zur Erfüllung des Circular Economy-Anspruches. Der Einsatz von Lehm für Bauaufgaben führt zu einer partiellen Substitution von CO2- und energieintensiven Primärrohstoffen durch geo- bzw. biobasierte Materialien, zur Verringerung von Abfall durch Nutzung von Aushubmaterial, der einfachen Instandhaltung und der einfachen Wiederverwendbarkeit im Rückbau. Dies verringert den Einsatz von Ressourcen wie Energie für Transport und Brennprozesse, aufwändigen Rückbau und Zerkleinerung deutlich. Lehm ist regional verfügbar, bedarf keines hohen Energieeinsatzes und eignet sich für Kombinationen mit nachwachsenden, lokalen Dämmstoffen. Überall wo es Lehm gibt, und das ist an vielen Orten der Welt der Fall, würde die Verwendung als Baustoff die Importabhängigkeit reduzieren, die lokale Wirtschaft stärken und durch das hohe Maß an Kombinationsmöglichkeiten und Variabilität bei der Auswahl der Dämmstoffe die Resilienz des Bauwesens fördern.
Fußzeilen
[1] European Commission, Sector Buildings and Construction. https://single-market-economy.ec.europa.eu/industry/sustainability/buildings-and-construction_en
[2] RE-FORM earth - Lehmbau für die Bauwende. https://www.ibo.at/forschung/referenzprojekte/data/re-form-earth
Erdbewegung – Lehm als klima- und ressourcenschonender Baustoff. www.ibo.at/forschung/referenzprojekte/data/erdbewegung
Niklas goes Nature – Stroh-Holz-Lehm im geförderten Wohnbau. https://www.ibo.at/forschung/ referenzprojekte/data/niklas-goes-nature
[3] https://netzwerklehm.at/normen-und-regelwerke/
[4] Endbericht ÖKS15 – Klimaszenarien für Österreich. https://www.bmk.gv.at/themen/klima_umwelt/klimaschutz/anpassungsstrategie/publikationen/oeks15.html
[5] https://www.cycle-terre.eu/
[6] Gem. aktueller Information wurde der Betrieb der Lehmfabrik im April 2024 vorläufig eingestellt
[7] https://bcmaterials.org/
Fördergeber
Die Forschungsprojekte Erdbewegung, RE-FORM earth und Niklas goes nature werden aus Mitteln des Klima- und Energiefonds bzw. der FTI-Initiative Kreislaufwirtschaft gefördert.