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Nachhaltige Öffentliche Beschaffung im Bausektor

Umweltzeichen enthalten Anforderungen, die die Auswahl nachhaltiger Bauprodukte erleichtern. Eine aktuelle Studie von natureplus entwickelt auf dieser Grundlage für ausschreibende Stellen in Europa Nachhaltigkeitskriterien für Ausschreibungstexte.

MaterialökologieBauproduktmanagement

Die EU-Richtlinie 2014/24/EU über die öffentliche Auftragsvergabe1 ermöglicht es, öffentliche Ausschreibungen auch zur Unterstützung sozialer und ökologischer Ziele zu nutzen. Künftig ist es möglich und gewollt, dass Nachhaltigkeitskriterien in jeder Phase der Ausschreibung von öffentlichen und privaten Auftraggebern verwendet werden können. Dies verlangt aber auch, dass die entsprechenden Ziele genau beschrieben und Nachweismöglichkeiten etabliert werden.
Bei einem im Oktober 2015 abgeschlossenen natureplus-Forschungsprojekt zum „Vergleich von Umweltzeichen in Europa“, wurden mit Unterstützung der Deutschen Bundesregierung 21 Typ I Umweltzeichen aus 8 europäischen Ländern in Bezug auf ihre Nachhaltigkeitsanforderungen verglichen. 62 Kriterien aus den Bereichen der Beschränkung gefährlicher Stoffe, dem Umwelt- und Ressourcenschutz und dem sozialen Bereich wurden als geeignet für den Ausschreibungsprozess identifiziert.
In dem Projekt, gefördert von der „Forschungsinitiative Zukunft Bau“ des Bauministeriums, hat natureplus Ausschreibungshilfen für 6 Bauproduktgruppen entwickelt, die für den Innenraum relevant sind: Beschichtungsstoffe (Lacke, Lasuren/Öle), Wandfarben, Bodenbeläge, Dämmstoffe, Holz und Holzwerkstoffe sowie Mörtel und Putze. Diese Ausschreibungshilfen sind rechtssicher, denn sie entsprechen den Anforderungen der Vergaberichtlinie. Sie enthalten für jede Produktgruppe abgestimmte relevante Nachhaltigkeitskriterien, die auch von von Nicht-Fachleuten überprüfbar sind und für die es auch verfügbare Produkte in Europa gibt. Neben anderen Dokumenten werden auch die 21 Umweltzeichen so weit möglich als Nachweismöglichkeit aufgelistet. Das Ziel dieser Untersuchung ist es, die Beschaffung von nachhaltigen Bauprodukten im Ausschreibungsverfahren zu stärken.

1)  Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG

Die relevanten Anforderungen

Bei dem Vergleich der Label wurden insgesamt 100 Nachhaltigkeitsmerkmale oder Kriterien identifiziert, die mindestens in zwei der betrachteten Label vorkamen und damit ein gewisses Maß an
 gesellschaftlichem Konsens bezüglich ihrer Relevanz widerspiegeln. 62 dieser Merkmale wurden als geeignet für das Ausschreibungsverfahren anerkannt. Diese Merkmale wurden unter folgenden Kategorien zusammengefasst:

  • Beschränkung umwelt- und gesundheitsschädlicher Stoffe: 55 Kriterien gefunden, 33 davon als geeignet angesehen
  • Schutz von Ressourcen, Umwelt- und Klimaschutz: 38 Kriterien gefunden, 24 davon geeignet
  • Beachtung sozialer Standards und Arbeitsschutz bei der Produktherstellung: 7 Kriterien gefunden, davon 5 geeignet.

Beschränkung schädlicher Stoffe

Die meisten beim Vergleich der Umweltzeichen aufgefundenen Nachhaltigkeitsmerkmale stehen im Zusammenhang mit der Beschränkung oder dem Verbot gefährlicher Stoffe. Es gibt einen hohen Grad an Übereinstimmung zwischen den betrachteten Labels zum Ausschluss verbotener Stoffe, den Ausschluss bedenklicher Stoffe (SVHC) nach REACH, von CMR-Stoffen der Kategorie 1 und 2 sowie von giftigen Stoffen. Zudem sind Beschränkungen für Allergene, für umweltgefährliche Materialien und persistente Stoffe (PBT) weit verbreitet, aber nicht überall vorgesehen.
In den meisten Fällen fordern die betrachteten Labels, dass alle diese Substanzen vom Hersteller angegeben werden müssen, wenn sie als Ausgangsmaterialien verwendet werden und nicht nur als Verunreinigungen im Produkt enthalten sind.
Im Gegensatz dazu unterscheiden sich die Beschränkungen bezüglich flüchtiger organischer Verbindungen (VOC), einer Gruppe von Stoffen, die vor allem negativen Einfluss auf die Innenraumluftqualität haben, sehr stark zwischen den einzelnen Umweltzeichen und hängen vom Ansatz des Labels und den Eigenschaften der betrachteten Produkte ab. Hier kommen sowohl Beschränkungen des Gehalts an VOC (auf Basis einer Herstellererklärung oder von Labortests) vor, was sich vor allem gegen die Lösemittel in Beschichtungen richtet oder die Verwendung von besonders gesundheitsschädlichen Aromaten verhindern soll. Die effektivste Methode ist hingegen die Beschränkung der VOC-Emissionen mit strengen Grenzwerten. Diese Anforderung kann durch Prüfkammermessungen überwacht werden.
Ähnliche Beschränkungen finden sich in den Labelkriterien auch für Weichmacher (SVOC), diese sind aber nicht so weit verbreitet. Die Beschränkungen reichen vom Ausschluss besonders unerwünschter Stoffe wie beispielsweise der Phthalate über die Beschränkung des SVOC-Gehalts (nach Deklaration oder Laborüberprüfung) bis hin zu einer Beschränkung der SVOC-Ausgasungen. Diese Art von Emissionsprüfung wird allerdings nicht so häufig angewendet wie die für VOC.
Zusätzlich enthalten viele der betrachteten Umweltzeichen Beschränkungen der Chemikalie Formaldehyd. Auch hier reichen die Anforderungen von einem Grenzwert für den Gehalt (nach Deklaration oder Laborprüfung), über den Ausschluss von Formaldehyd-Abspaltern als Einsatzstoff bis hin zu einer Beschränkung der Formaldehyd-Ausgasung. Letzteres erscheint besonders geeignet, da Formaldehyd in gasförmigem Zustand als krebserregend eingestuft ist.
Ein genereller Ausschluss von halogenorganischen Stoffen, wie ihn manche Label vorsehen, ist weniger leicht durchzuführen als ein Verbot ozonschädlicher HCFC/HFC-Treibmittel, das Verbot problematischer halogenorganischer Feuerschutzchemikalien oder der Ausschluss von chlorierten Kohlenwasserstoffen. Ein genereller Ausschluss von Bioziden oder zumindest der Ausschluss besonders gefährlicher Biozide würde in den meisten Produktgruppen möglich sein, allerdings muss man in manchen Fällen Topfkonservierer aus diesem generellen Verbot ausnehmen. Zumindest kann man in diesem Bereich schädliche halogenierte Schutzmittel ausschließen.
Weiterhin sind in den Europäischen Umweltzeichen für den Baubereich oftmals problematische Schwermetalle und -Verbindungen ausgeschlossen, so etwa für Chromat (Chrom VI) oder Kobaltverbindungen, die in verschiedenen Produkten heute noch oft zu finden sind. Weniger oft spielen bei den Labelkriterien Geruchs-tests oder Messungen von Radioaktivität eine Rolle. Neben den genannten Kriterien finden sich in den betrachteten Labels noch eine große Zahl von Beschränkungen für unerwünschte Einzelsubstanzen, abhängig von der betrachteten Produktart.

Ressourcen- und Klimaschutz

Im Vergleich zu der Vielzahl an Kriterien bezüglich schädlicher Stoffe ist die Zahl an Nachhaltigkeitsmerkmalen im Bereich des Ressourcen- und Klimaschutzes deutlich übersichtlicher. An erster Stelle steht bei den Umweltzeichen hier ein Mindestanteil an nachwachsenden Rohstoffen oder der Einsatz von Sekundärmaterialien wie etwa Altglas oder Industriegips zur Minimierung des Rohstoffverbrauchs.
Speziell die Herkunft des nachwachsenden Rohstoffs Holz ist Gegenstand genauer Betrachtung. Die Mindestanforderung ist daher der Ausschluss von Holz aus Raubbau, oft ergänzt mit der Nutzung regionaler Holzvorkommen und gipfelt in der Forderung einer nachhaltigen Forstwirtschaft, die in vielen Ländern Mitteleuropas bereits Tradition hat.
Ein anderes weit unter den Labels verbreitetes Thema ist die Abfallvermeidung. Speziell in Deutschland und Österreich sind Anforderungen an die Art der Verpackung (Wiederverwendung, Wiederverwertung oder PVC-freie Verpackung) schon gut eingeführt. Anforderungen für eine unproblematische Entsorgung und die Vermeidung gefährlichen Abfalls zielen auf ein vermehrtes Produktrecycling, was aber nach dem derzeitigen Widerhall in den Labels kein kurzfristig erreichbares Ziel zu sein scheint. Demgegenüber ist ein Verbot von PVC in Verpackungen schon weithin in den Labelanforderungen enthalten.
Allgemeinere Ziele wie eine energieeffiziente Produktion oder die Reduzierung von Treibhausgasen im Produktionsprozess kommen mangels geeigneter bzw. weit verbreiteter Messmethoden kaum vor. Im Prinzip könnte man dies durch Verwendung von EPD oder LCA erreichen – wenn für diese Ökobilanzen entsprechende Zielwerte vorgegeben würden.
Gelegentlich finden sich in den Umweltsiegeln Anforderungen an die Gebrauchstauglichkeit und vor allem Langlebigkeit der Produkte. Diese Anforderungen können aber auch kontraproduktiv wirken, wenn die Langlebigkeit oder Wartungsarmut mit negativen Umwelteffekten verbunden ist.

Soziale Kriterien

Es gibt gegenwärtig nur wenige Sozialkriterien, auf die sich Umweltzeichen berufen. Sie reduzieren sich meist auf die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), vor allem auf das Problem der Kinderarbeit, und auf Hinweise zum Arbeitsschutz (Schutz vor Staub, Rauch etc.).

Welche Kriterien sind für das Ausschreibungsverfahren geeignet?

Von den 100 relevanten Nachhaltigkeitsmerkmalen für Bauprodukte wurden im Rahmen der Forschungsarbeit 62 als geeignet für den Ausschreibungsprozess bzw. für die öffentliche Beschaffung ausgewählt. Sie wurden in die genannten Ausschreibungshilfen integriert. Das wichtigste Kriterium für die Aufnahme in die Ausschreibungshilfen war die Möglichkeit zur Verifizierung der entsprechenden Merkmale. Zwar bieten die Umweltzeichen die relevanten Informationen an, aber die Beschaffungsregeln erlauben nicht, den Nachweis der entsprechenden Eigenschaften allein über die Label zu führen. Es muss immer noch andere Möglichkeiten der Verifizierung geben und diese müssen auch real in nennenswertem Umfang vorhanden sein. Vor allem müssen sie in einer Form vorliegen, die für die damit befassten Personen ausreichend verständlich und verfügbar sind, die mit diesen sehr speziellen Fragestellungen nicht notwendigerweise besonders bewandert sind, also zum Beispiel ausschreibende Behördenmitarbeiter, anbietende ausführende Firmen.
Die in diesem Sinne brauchbaren Nachhaltigkeitsmerkmale wurden für alle sechs Bauproduktgruppen ausformuliert und als eine Textvorlage zur Aufnahme in die Ausschreibungstexte von öffentlichen wie privaten Stellen vorgelegt. Sie können in jeder Phase des Ausschreibungsverfahrens in die Vorbemerkungen einfließen. Alle Label, die relevante Nachweise für bestimmte Eigenschaften bieten, sind aufgelistet. Die Textvorlagen erfüllen die rechtlichen Voraussetzungen des Vergaberechts.

Kostenlos herunterladen

Der ganze Abschlussbericht des Förderprojekts zum Labelvergleich kann kostenlos heruntergeladen werden: https://www.baufachinformation.de/vergleich-von-pruefzeichen-fuer-baumaterialien-mit-nachhaltigkeitsmerkmalen-in-europa/bu/16059012106
Die Ausschreibungshilfen für die sechs genannten Bauproduktgruppen werden demnächst ebendort in Deutsch und Englisch zur Verfügung gestellt.

Thomas Schmitz
natureplus e.V. – Internationaler Verein für zukunftsfähiges Bauen und Wohnen 
email: schmitz@natureplus.org
www.natureplus.org

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