Kreislaufwirtschaft statt linearem Wirtschaften
Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen, Europas und Österreichs zielen wegen des großen Massenverbrauchs auch auf das Bauwesen ab. Ein Übergang zu einem zirkulären System ist notwendig, insbesondere in der Bauindustrie, da sie für etwa 38 % aller CO2-Emissionen verantwortlich ist und einen großen Einfluss auf die Ressourcenerschöpfung hat [1]. Die Entdeckung des Erdöls brachte uns den unglaublichen Luxus billiger Energie für Industrie, Gewerbe und Haushalt, für Heizen und Kühlen, für Transporte von Gütern und von Menschen. Davor ging man mit den Ressourcen sparsamer um, eine Tugend, die wir mit heutigen Technologien wiederbeleben müssen. Denn nur mit der Verringerung von Emissionen vor allem von dem in Millionen von Jahren eingelagertem Kohlenstoff, dem Stopp der Rohstoffvernichtung und der Bodenversiegelung kann es gelingen dem Klimanotstand entgegenzuwirken.
In Kreisläufen denken und wirtschaften erfordert nicht nur ein Umdenken, vielleicht die Einbuße von Bequemlichkeiten, es erfordert auch radikale Änderungen in Geschäftsmodellen und gesetzlichen wie normativen Rahmenbedingungen. Abfälle zu vermeiden, Bauteile und Baustoffe wiederzuverwenden, Materialien von Baustellen aller Art wiederzuverwerten ist das Ziel.
Rohstoffe aus Abfall
Im linearen Wirtschaften endet ein Produkt als Abfall. Für Baustoffe gilt dann nicht länger die Bauprodukteverordnung [2], sondern das Abfallwirtschaftsgesetz. Abfall umfasst laut Abfallwirtschaftsgesetz alles Bewegliche, dessen sich der Besitzer entledigen will oder das das öffentliche Interesse beeinträchtigen kann. Auch dann, wenn das Produkt wieder ein Baustoff werden kann, wie im Kreislaufwirtschaftsplan der EU [3] gewünscht. Die EU-Abfallrahmenrichtlinie und das Abfallwirtschaftsgesetz reagieren darauf mit einer Neudefinition der Abfallhierarchie, an deren erster Stelle die Abfallvermeidung vor allen anderen Maßnahmen steht.
Sekundär- oder Recycling-Rohstoffe werden erst in der 3. Stufe der Abfallhierarchie beschrieben, dann wenn Material nicht als Bauteil oder Baukomponente wiederverwendet wird. Sekundär-Rohstoffe sind aus Abfall gewonnene Materialien, die zur Erzeugung neuer Produkte verwendet werden. Die Kunst wird es sein, Wiederverwendung und Wiederverwertung zu erleichtern und dort, wo Schadstoffverschleppungen und -verdünnung verhindert werden sollen, die Materialströme mit besseren Kontrollen, mit Überzeugungsarbeit, mit finanziellen Anreizen zu lenken.
Recycling-Baustoffe – mehr als mineralisch?
In der Recycling-Baustoffverordnung [4] aus dem Jahr 2015 wird Recycling-Baustoff folgend definiert: Eine aus Abfällen hergestellte natürliche, industriell hergestellte oder recyclierte Gesteinskörnung, die gemäß der EU-Bauprodukte-Verordnung als Baustoff verwendet werden kann. In der Recycling-Baustoffverordnung wird neben Beton- und Ziegelbruch auch Asphalt, Keramik und Bodenaushub behandelt, doch sind damit weder alle Recycling-Materialien noch alle Baustoffe beschrieben. Gips wird ungeachtet seines hohen Recyclingpotenzials in dieser Verordnung lediglich als Störstoff gesehen. Sekundärmaterial in Bauprodukten wird in weiteren Verordnungen geregelt. So fordert die derzeit in Überarbeitung befindliche Bauprodukte-Verordnung schon jetzt prinzipiell mehr Wiederverwendung und -verwertung, einerseits unter dem Aspekt Energieeinsparung, andererseits im Sinne der Nachhaltigkeit.
Neben mineralischen Stoffen können Recycling-Rohstoffe aus Kunst- und aus nachwachsenden Rohstoffen und auch aus Metallen gewonnen werden. Der Fantasie sind kaum Grenzen gesetzt: Kronkorken, Plastik-Schneidbretter, Muschelschalen aus der Gastronomie, Altglas, Kork- und Gummigranulate, Holzspäne, Hanfschäben, Eisenschrott sind nur einige Beispiele für die Wiederverwertung in Produkten, wie sie exemplarisch im Haus NEST/UMAR (Urban Mining and Recycling) der ETH Zürich eingesetzt wurden [5].
Einzelne Produzenten, aber auch Abfallentsorger bieten Abholsysteme für z.B. Gipskartonplatten, XPS-Abfälle, Verpackungsmaterial und PU-Montageschäumen an. Jedoch sind die Mengen von Baustellenabfällen im Neubau gering, es handelt sich um
10 % der Bau- und Abbruchabfälle, die wiederum mit 11 Mio Tonnen ca. 17 % des Gesamtabfallaufkommens in Österreich 2018 ausmachten.
Vorteil von Baustellenverschnitt ist, dass die Herkunft und damit die Zusammensetzung klar ist und der Verschmutzungsgrad gering. Bei ausreichend Platz im Baustellenbereich ist eine getrennte Sortierung möglich. Solange die Deponiekosten noch gering sind und die Aufwände für Logistik, Behandlung und Wiederverwertung deutlich höher sind, in ökonomischer, aber möglicherweise auch in ökologischer Hinsicht, sind diese Tendenzen noch als Experimente zu betrachten.
Im Abbruch liegen größere Mengen vor. Mit historischem Baumaterial lassen sich attraktive Preise erzielen, Holz, Ziegel, Türbeschläge sind manchmal wertvolle Produkte. Das gilt auch für Metalle, etwa Kupferkabel oder Stahlträger, deren Wege ins Recycling etabliert sind.
Jüngeren Datums sind die Kunststoffe, die in immer größerem Ausmaß im Bauwesen eingesetzt werden. Nach dem Verpackungsbereich ist die Baubranche der zweitgrößte Abnehmer von Kunststoffen insgesamt (Neuware und Rezyklat) [6]. Einige Stoffe lassen sich sehr gut rezyklieren, andere weniger, oft dienen Kunststoffe im Bauwesen jedoch zu untrennbaren Verbünden, die schlecht wiederverwertbar sind. Nochmalige Verwendungen von bereits heute aus Recyclingmaterial bestehenden Produkten wie etwa Betonschalungszubehören oder Baufolien sind unwahrscheinlich.
Dämmstoffe werden derzeit in Österreich und Europa de facto nicht verwertet. Im Fassadenbereich sind diese großteils mit mineralischen Putzen und Untergründen verklebt, für eine sortenreine Trennung fehlen derzeit technische und zugleich wirtschaftlich sinnvolle Lösungsansätze. Organische synthetische Dämmstoffe auf Polystyrol- (EPS, XPS) oder Polyurethan-Basis (PUR) sind damit am End of Life (EoL) als Baustellenabfälle einzustufen, die aufgrund ihrer spezifischen Beschaffenheit (Polystyrolschaumkunststoffe enthalten bis zu 98 % Luft) extrem hohe Volumina haben. Materialspezifische Probleme entstehen zudem durch die in EPS, XPS und PUR in signifikanten Mengen enthaltenen und seit 2016 verbotenen, bromierten Flammschutzmittel auf Hexabromcyclododekan (HBCD)-Basis (2–3 Massenprozent) oder klimaschädlichen Treibmittel (FCKWs). Im Bereich der mineralischen Dämmstoffe (Glas- und Steinwolle) stellt die Einstufung der Fasern gemäß CLP-Verordnung [7] als krebserregend die größte Hürde für eine Kreislaufführung dar. Keine Regelungen gibt es aktuell auch für das Recycling von alternativen Dämmstoffen aus nachwachsenden Rohstoffen (z.B. Hanf, Kork). Der allgemeine Wissensstand zur genauen Zusammensetzung dieser Materialien sowie zu den verwendeten Additiven ist lückenhaft. Mögliche zukünftige Entsorgungswege von Dämmstoffen wurden in einer deutschen Studie aufgezeigt [8].
Altholz, das in 4 Qualitätsstufen eingeteilt wird, wird mangels Überprüfbarkeit derzeit oft entsorgt, weil man dem Holz nicht immer ansieht, ob es mit unerwünschten Holzschutzmitteln behandelt ist. Es lässt sich in Österreich und Deutschland ausschließlich dann als Sekundärressource in der Holzwerkstoffproduktion zusetzen, wenn ausgewählte Grenzwerte gemäß RecyclingholzV [9] (Ö) oder AltholzV [10] (D) eingehalten werden. Im Falle einer Wiederverwendung (Re-Use) ohne vorangeschaltete Schadstoffabtrennung kann es daher zu unerwünschten Verschleppungen kommen.
Hindernisse umgehen
Die von der EU geforderte Recyclingquote von 80 % der Massivbaustoffe wird in Österreich erreicht, jedoch werden die Recyclingmaterialien zumeist im Straßenbau verwendet. Angesichts der überdurchschnittlichen Versiegelung in Österreich können Straßenbauprojekte zukünftig wohl nicht als Wachstumsmarkt betrachtet werden. Im Hochbau liegen die Recyclingquoten nur bei 40 % [11]. In der Praxis werden qualitätserhaltende Baustoffkreisläufe dennoch nur in wenigen Fällen umgesetzt. Ein wesentliches Hemmnis sind Stör- und Schadstoffe und auch heterogene Materialkombinationen in Form von Hybrid- und Verbundbaustoffen. Sie erschweren den selektiven Rückbau von Altgebäuden und damit die Generierung sortenreiner und verwertbarer Materialströme.
Klar ist, dass Sortenreinheit der Schlüssel für eine sinnvolle Wiederverwendung und -verwertung ist. Ob nun Sammelsysteme für Verschnitt oder Erleichterungen in der Klassifizierung z.B. in den Materialgruppen Holz oder Dämmstoffe: Ansätze gibt es viele. Einer davon ist die Entwicklung eines baustellentauglichen Instruments für die umfassende chemische und physikalische Materialcharakterisierung von Baustoffen im ACR-Forschungsprojekt BauCycle. Den Unternehmen der Bau- und Abfallbranche, insbesondere KMUs, wird damit eine mobil und stationär einsetzbare Laboreinheit zur Verfügung gestellt. Dadurch gelingt die erweiterte, analysengestützte und damit qualitätsgesicherte Stör- und Schadstofferkundung auf der Baustelle sowie die ggf. notwendige nachfolgende Spezialanalyse im standortgebundenen Labor. Zusätzlich wird eine neuartige, innovative Methode zur Problemstoffabtrennung entwickelt. Rückgebaute Baustoffe werden hierdurch zu hochwertigen neuen Ausgangsprodukten oder Sekundärrohstoffen, welche durch die Unternehmen gewinnbringend verwertet werden können.
Aushub - mehr als Abfall?
Laut Statusbericht zur Abfallwirtschaft 2021 des Klimaministeriums [12] ist Aushub mit 59 % die größte Abfallgruppe in Österreich. Abgesehen von schadstoffbelasteten Böden ist es verwunderlich, dass Aushub natürlichen Bodens als Abfall betrachtet wird, der Großteil des Aushubs wird jedenfalls gemäß Deponie-Verordnung 2008 [13] deponiert. 2018 waren das 70 % von gesamt ca. 37 Mio Tonnen Aushub. Als Baustoff wird der Aushub derzeit nicht gesehen, doch steckt einiges an Potenzial in diesen Mengen. In der Überarbeitung des Bundesabfallwirtschaftsplans (BAWP), der in den nächsten Wochen zur Begutachtung freigegeben wird, sind neben einigen neuen Begriffsbestimmungen Behandlungsansätze enthalten, die die Verwendung von Aushub als Baustoffe befördern sollen. Lehm ist in Aushub oft enthalten, wird aber in diesem Zusammenhang nicht erwähnt. Dies ist bedauerlich, handelt es sich doch um Vorzeigematerial für nachhaltige Bauweisen, das als Bindemittel in mineralischen Baustoffen vielfältig einsetzbar wäre: als Abdichtung für Retentionsbecken und Schwimmteiche, als Stampflehmwände oder in anderen Lehmbauweisen, für Putze und Farben.
Eignung für die Kreislaufwirtschaft
Wenn mit sorgfältiger Dokumentation der eingesetzten Materialien z.B. bei Verwendung von Produkten mit Umweltzeichen oder aufgrund chemischer Analysen die Schadstofffreiheit belegt ist, ist die erste Voraussetzung für ein Recycling erfüllt.
Der sinnvolle Rückbau erfordert allerdings Methoden, die derzeit nicht in breitem Maßstab angewendet werden. Sämtliche Schütt- und Einblasdämmstoffe ließen sich, mithilfe von Absauggeräten und sofern immer noch in einwandfreiem technischem Zustand, durchaus für die Wiederverwendung bereitstellen. Ziegel jedoch sind seit den 1960erJahren nicht einzeln herauslösbar, weil der Mörtel stärker ist als die Ziegel. In Dänemark wurde kurzerhand das Mauerwerk einer Brauerei in Module geschnitten, aus denen neue Wände errichtet werden [14].
Für die Wiederverwertung von Rohstoffen muss mehr denn je auf die Sortenreinheit geachtet werden. Bereits bei der Produktherstellung wäre eine Einschränkung der unzählbaren Vielfalt an Metalllegierungen, Kunststoffsorten und anderen Vermengungen im Sinne der Kreislaufwirtschaft sinnvoll. Die Planung muss unlösbare Verbindungen im Kleinen (Vermengung von Partikeln mit Bindemitteln) wie im Großen (Verklebungen zu Verbundwerkstoffen) durch kreislauffähigere Konstruktionen ersetzen. Bei der Gewinnung von Sekundär-Rohstoffen ist es unabdingbar, zu wissen, was in Materialien enthalten ist, was eventuell im Laufe der Jahre hinzugefügt wurde (Beschichtungen, Verfestigungsmittel). Auf der Baustelle muss auf eine strikte Trennung geachtet werden – selbst die ausgefeiltesten Sortiertechniken können Stoffe nicht hundertprozentig rein trennen.
Das branchenübergreifende Arbeiten wird in der Kreislaufwirtschaft aufblühen, gilt es doch Potenziale von Materialströmen nicht nur in Bau- Abfall-, Land- und Forstwirtschaft zu heben. Nicht zuletzt müssen diese Materialien auch nachgefragt werden - standardisierte Ausschreibungspositionen, Integration in die Zuschlagskriterien auch bei Bauaufträgen der öffentlichen Hand und die Berücksichtigung in Gebäudebewertungssystemen wie etwa in klimaaktiv werden dabei helfen.
Literaturverzeichnis
[1] United Nations Environment Programme (2020). Emissions Gap Report 2020. Nairobi.
[2] EU-Bauprodukteverordnung, Verordnung (EU) Nr. 305/2011
www.bmdw.gv.at/dam/jcr:a942fab0-2b98-4741-aa35-4e137aa2b252/__000_BPV_305-2011_L88-5_04-04-2011_DE1.pdf
[3] Europäische Kommission (2020): Circular Economy Action Plan (CEAP), Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen. Ein neuer Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft. Für ein saubereres und wettbewerbsfähigeres Europa. Brüssel 2020
[4] Recycling-Baustoffverordnung BGBl. II Nr. 181/2015 www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe
[5] Frank Henlein: Recyclable by Werner Sobek, avedition, Stuttgart 2019. nest-umar.net
[6] (Plastics Europe 201Plastics the Facts 2019: plasticseurope.org/wp-content/uploads/2021/10/2019-Plastics-the-facts.pdf
[7] CLP-Verordnung 1272/2008
[8] Joachim Reinhardt, Corvin Veith, Julia Lempik, Florian Knappe, Peter Mellwig, Jürgen Giegrich, Nadine Muchow (ifeu), Thomas Schmitz, Ilka Voß (natureplus): Ganzheitliche Bewertung von verschiedenen Dämmstoffalternativen Endbericht Forschungsprojekt, Neckargemünd 2019.
[9] BGBl.II Nr. 160/2012 und BGBl.II 178/2018 Recyclingholz-V und Novelle 2018
[10] BGBl. IS.3302 Altholz-V
[11] Trebut Franziska, Pfefferer Bianca: Anforderungen an die Kreislauffähigkeit von Massivbaustoffen, Projektbericht 24/21 Nachhaltig Wirtschaften im Rahmen des Programms Stadt der Zukunft des BMK, ÖGUT, Wien 2021
[12] BMK: Die Bestandsaufnahme der Abfallwirtschaft in Österreich – Statusbericht 2021 www.bmk.gv.at/dam/jcr:04ca87f4-fd7f-4f16-81ec-57fca79354a0/BAWP_Statusbericht2021.pdf
[13] Deponieverordnung BGBl. II Nr. 39/2008 www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblAuth/BGBLA_2008_II_39/BGBLA_2008_II_39.html
[14] lendager.com
Erstquelle dieses Beitrags: „OIB aktuell – Das Fachmagazin für Baurecht und Technik, Heft 2/2022 – Herausgeber: Österreichisches Institut für Bautechnik“