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Sanieren einmal anders - STELA

Können E-Mobilität und Wohnraumerweiterung den Bausünden früherer Jahre neue Attraktivität verleihen? Kann die Stadt nach innen wachsen? Fragen, die allesamt in STELA, einem beinahe 4 Jahre dauernden Forschungsprojekt des klima+energiefonds beantwortet wurden.

ArchitekturBaustoffe und BauteileBauphysikSanierungSmart CityForschung

Verbesserungen in einem steirischen Wohnviertel aus den 1980er-Jahren als Beispiel für die Renovierung anderer Siedlungsbauten zu planen, simulieren und auszuprobieren, dafür steht das Kürzel STELA, das Smart Tower Enhancement Leoben Austria.

Die ÖsterreicherInnen träumen vom Einfamilienhaus, tatsächlich wohnen sie aber zu über 60 % in Wohnungen. Viele davon könnten attraktiver sein und damit Wochenendflucht und den Wunsch nach dem eindeutig unökologischen Häuschen im Grünen verringern, so die Theorie. Wie eine ökologische Ertüchtigung, also Energieeinsparung im Betrieb und nachhaltigere Mobilität mit einer Verbesserung der Wohnqualität, rechtlich abgesichert, wirtschaftlich sinnvoll und praktisch durchführbar einhergehen kann, das wurde seit 2014 in einer reinen Wohnsiedlung mit 10 fünf- bis achtgeschoßigen Wohntürmen, in denen ca. 600 Menschen in 275 Wohnungen leben, erforscht.

Unter der Konsortialführung der Stadtgemeinde Leoben wurde das Projekt in 9 Arbeitspakete aufgeteilt und die ProjektpartnerInnen aus Technik, Wirtschaft, Soziologie mit regelmäßigen Treffen koordiniert, sodass interdisziplinär Erkenntnisse mehrfach verbessert wurden und schlussendlich tatsächlich ein 1:1 Modell nicht nur realisiert, sondern auch evaluiert werden konnte.

Zu Beginn wurde die Sanierungsmethode erarbeitet und deren Funktionsweise beschrieben, um in einem nächsten Schritt die BürgerInnen zu informieren. Alle Wohnungen haben den gleichen Grundriss, organisiert als Vierspänner, sodass Vor- und Rücksprünge in der Gebäudegeometrie entstanden. Als Liegenschaftseigentümerin hatte die Stadt Leoben großes Interesse über die energetische Verbesserung hinaus auf die demographischen Anforderungen zu reagieren. Eine größere Vielfalt an verschieden nutzbaren Wohnungseinheiten sollte entstehen. Gleichzeitig sollten die individuellen Außenräume erweitert und als Pufferzone als Alternative zur WDVS entwickelt werden. Zur Energiegewinnung wurden PV-Module geplant. Die ursprünglichen Freiflächen sind für heutige Verhältnisse recht schmal dimensioniert und werden vorwiegend als Wirtschaftsbalkone genutzt. Mit der Pufferzone werden die Wohnungen erweitert, mit Durchbrüchen können auch – ohne groben Eingriff in die Haustechnik – größere Gemeinschaftswohnungen bis ca. 200 m2 geschaffen werden. Das wird dem heutigen Bedürfnis nach unterschiedlichsten Lebensformen besser gerecht und steigert damit die Attraktivität des Quartiers – ein vordringlicher Wunsch der Stadt. Die Vielzahl und Vielfalt an Möglichkeiten wurde in einem Katalog dokumentiert, für dieses und auch für Nachahmungsprojekte.

Elementfassadensystem – der Baukasten

Gemeinsam mit Fachkräften aus der Industrie und möglichen Herstellern wurden Module für die Pufferzone entwickelt. Neben der konstruktiven Herausforderung (Vorfertigung, Montage im bewohnten Zustand, statische Erfordernisse) mussten die gesetzlichen Rahmenbedingungen für Brandschutz, Nutzungssicherheit, Belichtung usw. berücksichtigt werden. Die bauphysikalischen Auswirkungen, auch für die MieterInnen, deren Wohnungen dann anders belüftet und beschattet werden würden, die finanziellen Konsequenzen, all diese Aspekte mussten für zahlreiche Ausführungsvarianten geprüft werden.

Planungsbegleitende Simulationen

Nicht nur die Feuchte- und Wärmeflüsse wurden mit TRNSYS simuliert, auch die Raumluftqualität mit TRNFLOW und die Versorgung mit Tageslicht mit Dayism wurden simultan mit der Projektplanung durchgeführt. So konnten Chancen und Gefahren vorab erkannt werden.

Letztendlich stellte sich eine selbsttragende Konstruktion als flexibel, kostengünstig und einfach in der Produktion und Montage heraus. Mit der Umhüllung des Bestandsgebäudes und damit einer größeren Kompaktheit lässt sich nicht nur Energie einsparen, auch die Schimmelproblematik wird entschärft.

Infobüro vor Ort – BürgerInnen reden mit

Weil der Umbau im bewohnten Zustand erfolgen muss, sollten die Betroffenen unmittelbar eingebunden sein.

Schon 2014 wurde das STELA Infobüro vor Ort eröffnet. Alle BewohnerInnen des Quartiers sollten erreicht und über diese neuartige Sanierungsmethode informiert werden. Im Herbst wurde eine Abstimmung durchgeführt. Das Haus mit der meisten Zustimmung wurde dann für die weitere Forschung ausgewählt. Dort wurde im Frühjahr 2017 ein 1:1 Modell der Pufferzone an eine Wohnung angebaut.

Evaluierung

Auch die Wohnungen im Bestand wurden mit Sensoren ausgestattet und bereits ein Jahr lang vermessen, damit Vergleichswerte eine aussagekräftige Beurteilung des Umbaus ermöglichen.

Auf die Nutzung kommt es an, das haben wir in vielen Projekten gesehen, wo die errechneten Werte nicht oder erst nach disziplinierter Einregulierung erreicht wurden. Herauszufinden, wie eine Technik angenommen wird, und ob Verbräuche bzw. Komfortparameter passen, das gelingt nur mit Messungen. Gerade im Bestand muss das Messkonzept unkompliziert nachrüstbar sein. Das IBO hat – nicht zum ersten Mal – hier Funksensoren eingesetzt.

In der Demonstrationswohnung wurden neben der stetigen Messung der Temperatur, mithilfe von Bewegungssensoren das Öffnen und Schließen der (dreiläufigen) Schiebeelemente aufgezeichnet. So konnte zusätzlich zu den Rückmeldungen der Mieter-Innen über die empfundene Aufenthaltsqualität Erkenntnisse aus den tatsächlichen Temperaturverläufen in Abhängigkeit der jeweiligen Witterung gewonnen werden.

In Summe bestätigten sich die Annahmen aus der Simulation: der sommerliche Komfort kann mit diesem System gewährleistet werden. Im Winter zeigte sich, dass minimale empfundene Pufferraumtemperaturen bei -5°C lagen bei Außentemperaturen von -15° C.

 

Mobilität

Wo und wie wir wohnen, beeinflusst unsere Mobilität. Bei den Stadtentwicklungen ist „smarte Mobilität“ immer ein Thema. Ein umfassendes Verkehrskonzept durfte auch bei dieser Siedlung, deren Außenräume vorwiegend für Parkplätze genutzt werden, nicht fehlen. Basierend darauf wurden Szenarien für die Reduktion der Treibhausgasemissionen für den Smart City Musterstadtteil ausgearbeitet. Werden die optimalen Maßnahmen auf Gebäudeebene mit realer Sanierungsrate und Grenzenergie sowie auf Verkehrsebene umgesetzt, können die CO2-Emissionen bis 2050 um 13.500 t reduziert werden, anders ausgedrückt um 5 % verringert werden.

Betrachtung der Treibhausgasemissionen

Als Besonderheit bei diesem Projekt wurden die Treibhausgas-Emissionen für den Stadtteil berechnet. Ob die CO2-Einsparungen der Sanierungsmaßnahmen den Mehraufwand durch die Konstruktion und Photovoltaikanlage ausgleichen können, lautete die Fragestellung. In einem ersten Schritt wurden CO2-Bilanzen für jede Variante erstellt, wobei die Herstellung und Entsorgung der Konstruktion sowie die Einsparungen in Hinblick auf Heizung und Strom berücksichtigt wurden. Betrachtet wurden diese CO2-Bilanzen in 3 Szenarien: Konversionsfaktor laut berechnetem Energieausweis (Fernwärme aus Heizwerk nicht erneuerbar), dem realen Konversionsfaktor (Abwärme) sowie dem Konversionsfaktor der Grenzenergie Österreich (Erdgas). Diese Variation wirkt sich auf die Einsparungsergebnisse und somit auf die ökologische Rentabilität aus.

Die CO2-Bilanz wurde anschließend unter Berücksichtigung der Entwicklung der Sanierungsrate, des Strombedarfs sowie der Preissteigerung im betrachteten Smart City Stadtteil der Musterstadt bis 2050 hochgerechnet.

Ergebnisse und Erkenntnisse weiternutzen – das Handbuch

Das STELA Handbuch zeigt die Ergebnisse der soziologischen und technischen Analysen und Evaluierungen des Gebäudebestands, der Ausarbeitung der Grundrissvarianten, der Modulkonstruktionen und der Berechnungen. Es soll damit zur Nachahmung einladen. Handlungsvorschläge, Case Studies und die Dokumentation dieses Forschungsprojektes helfen bei weiteren Gebäudesanierungen.

 

IBO ist Mitglied der ACR - Austrian Cooperative Research, einem Netzwerk von 18 außeruniversitären Forschungsinstituten, die angewandte Forschung und Entwicklung für Unternehmen, speziell für KMU, betreiben. www.acr.ac.at

Kontakt

© Rudolf Bintinger
© Rudolf Bintinger
© Rudolf Bintinger
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Schaubild STELA Quartier (Zukunftsvision)
Um im Zuge der Errichtung flexibel agieren zu können wurde die Konstruktion der Pufferzone in einer modularen Bauweise konzipiert. Das Konstruktionsprinzip folgt einer Baukastenstrategie bei der sich aus wenigen leicht reproduzierbaren Elementen die gesamte neue Gebäudehülle schrittweise herstellen lässt. (Variante Brettsperrholz)
Vergleich Energieausweis, Gebäudesimulation - unterschiedliche Varianten
Die Simulationsergebnisse zeigen, dass trotz Temperaturspitzen der Außenlufttemperatur von 32°C, die Temperaturen im Pufferraum nur auf maximal 30 bis 35°C ansteigen.
Sommerlicher Komfort Wohnung EG (Demonstrationsmodul)