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Wie dient ein Haus dem Gemeinwohl?
Gemeinwohlökonomie im Mietshaus

Die Gemeinwohlökonomie versucht ein anderes Wirtschaften – Wohlsein für alle. Ein Instrument zur Darstellung, aber noch viel mehr zur Bewusstseinsbildung ist die Gemeinwohlbilanz, die von Privatpersonen, Gemeinden, Firmen und Institutionen schon vielfach angewendet wird. Für die Immobilienverwaltung ist der Kriterienkatalog zwar auch anwendbar, aber in mancher Hinsicht sind sie für Wohnhäuser noch optimierbar. Ein Bericht über den Versuch einer Gemeinwohlbilanz von Heinz Fuchsig.

Gebäudebewertung

Resilient wohnen in unsicheren Zeiten

Häuser sind – mit der dadurch festgelegten Mobilität – für über 50% des Ressourcenverbrauchs verantwortlich. Andererseits ist Wohnen ein Menschenrecht und bestimmt stark über unser Wohlbefinden und Lebensqualität- durch förderliche Qualität und Quantität von Licht, Aussicht, Ruhe und Erholungsbedingungen, Ergonomie, Vermittlung menschlicher Begegnungen und Sicherheit.

Vermutlich steht die soziale Qualität an erster Stelle, worauf der Spruch: niemand kann in Frieden leben, wenn es dem Nachbarn nicht gefällt hindeutet. Nachbarschaftskonflikte führen nicht nur zu Gerichtsprozessen, sondern – vor allem im Mietbereich – zu Wohnungswechseln.

Was können Hausbesitzer tun, um möglichst alle Aspekte gesunden (Zusammen-)Wohnens positiv zu beeinflussen? Kann und soll man Messkriterien dafür entwickeln?

Mit der Gemeinwohlbilanz gibt es für Unternehmen einen solchen Katalog an Kriterien – die vor allem dazu dienen sollen, Potentiale und Handlungsbedarf aufzuzeigen. Der Autor hat versucht, diese Kriterien für sein Mietshaus (BJ 1908, 12 Wohnungen, davon 10 vermietet) anzuwenden. Vorweggesagt: vieles ist anwendbar, vieles muss adaptiert werden.

Vertrauen und Gemeinsames aufbauen

Man vertraut nur jemand, dem man kennt oder dem fast alle – auch kulturell bedingt, wie Gesundheitspersonal - vertrauen. Kulturell sind Hausbesitzer wenig positiv besetzt. Stimmt die Abrechnung? Ist die Mieterhöhung gerechtfertigt? Werden Reparaturen bewusst hinausgezögert?

Der erste und wohl wichtigste Schritt für mich zum Kennenlernen meiner MieterInnen war und ist – auch noch nach bald 20 Jahren – das Hoffest. Wir stimmen den Termin ab, stellen Grillgut, Getränke und Brot zur Verfügung und bringen, wie jede andere Partei auch, Salate oder Kuchen. Weil jeder bringt, was er besonders gut kann, geht das Lob reihum, Rezepte werden ausgetauscht. Was übrig bleibt wird verteilt. Herrichten und Verräumen bleibt beim Vermieter, junge MieterInnen helfen gerne. Ein kleiner Dienst mit großer Wirkung!

Als eine Folge hat unser „Grillmeister“, der Mieter und „Hüter des Feuers“ und damit wichtigste Person des Abends Grill und Heurigengarnitur allen anderen frei zur Verfügung gestellt, sie lagern unter dem Balkon. Auch wir stellen Schaukeln und Tische, Sandkisten und Kinderschwimmbad, Tischtennistisch und Hochbeet unentgeltlich zur Verfügung. Hohe Qualität ist zwar teurer, aber zahlt sich aus. Jedes Jahr kommt etwas dazu, auch weil neue Ideen aufkommen. Ein Gemeinschaftsgefrierschrank im Keller verdoppelt die Lagerkapazität mancher Mieter, seit Corona mehr geschätzt als früher. Ein Werkraum erlaubt nicht nur Kleinreparaturen und Basteln, sondern spendet auch das nötige Material dazu. Wenn ein Mieter nichts Passendes findet, kauft er es im Baumarkt und stellt Überschüsse allen zur Verfügung. Der Schwund ist minimal. Die Aufwendungen für all diese Sachen und Erweiterungen auch im Hof betragen unter tausend Euro im Jahr und sind steuerlich absetzbar.

Das findet in der Gemeinwohlbilanz noch keine Berücksichtigung. Wir werden das nicht nur in einer speziellen Bilanzvorlage für Häuser einbringen, sondern auch für die Betriebe rückmelden. Die GWÖ kümmert sich zwar sehr um soziale Auswirkungen des Handelns, aber noch zu wenig um kleine soziale Taten, die nicht zum unmittelbaren Geschäft gehören. Irgendwer ist z.B. immer Nikolo bei uns im Haus; zumindest bei den Familien steht was vor der Türe.

Lieferantenbeziehungen

Das ist der erste Aspekt der Gemeinwohlbilanz. Ökostrom kann man keinem Mieter vorschreiben, aber „nudgen“, d.h. es einfach machen, in den alten Vertrag einzusteigen statt neu anmelden zu müssen. Der Hausstrombedarf ist meist gering, andere Lieferanten wie Müllabfuhr, Wasser und Gehsteigreinigung sind Monopolisten. Dort nachzufragen lohnt aber: meine Kommunalbetriebe sind sehr stolz, ihre Arbeitgeberattraktivität und das Umweltbewusstsein vorzuzeigen; meine Versicherung hat ersteres zwar groß auf den Fahnen, aber bei zweiterem Aufholbedarf. Noch in der Woche der Kontaktaufnahme durfte ich vor dem Vorstand und den Verantwortlichen eine Stunde zu gesundem Bauen referieren…

Umbauten verursachen eine Menge Müll, bedingen Anfahrten und Materialverbrauch. Hier hat sich bei mir Nachbesserungsbedarf gezeigt: während der Einkauf von Geräten immer schon dem „Frontrunner-Prinzip“ (unter den Sparsamsten / Umweltfreundlichsten 3 wählen) folgte, wird der Einkauf von PVC-freien Kabeln und ökologischen Farben nicht konsequent gehandhabt. Meine eher kleinen Handwerksbetriebe gehen zumindest mit ihren MitarbeiterInnen achtsam um, soweit ich das abschätzen kann. Zeitdruck auszuüben vermeide ich wo möglich.

Eigentum, Finanzgerechtigkeit und Mitentscheidung

Ein Unternehmer trägt für fast alles Verantwortung, muss aber zunehmend seine Mitarbeiter selbst entscheiden lassen, weil Zeit und Kompetenz fehlen. Lässt sich das auf ein Haus übertragen? Unsere Mieter können ausziehen, wir selbst nur als allerletzte Konsequenz. Wir zahlen praktisch alles, wenn auch aus ihren Mieten. Wo sollten wir MieterInnen beteiligen? Bei allen Gemeinschaftseinrichtungen: Hof, Radständer und Gartenmöbel, weil sie diese mehr nutzen als wir. Werkstatt, Gefrierschrank und Rudergerät (hat ohnehin nur im Stiegenhaus im 3. Halbstock Platz!) sind Gegenstand von Gesprächen. Was fehlt, ist eine moderierte Diskussion, die Neues aufbringen könnte und die Beteiligung aktiver werden lässt. Hier will ich nachbessern.

Finanzen: natürlich hat der Ausbau des Daches einen Privatkredit benötigt und jener der Balkone (zu ganzjährig nutzbaren Holzveranden, sihe Bild 2), der Lift etc. einen Landeskredit. Ökologische Hintergründe der Banken wurden damals – vor 25 Jahren – nicht überprüft. Inzwischen angesparte Mieten werden in Oikocredit sozial und ökologisch verträglich veranlagt bzw. reinvestiert – die Ertragslage des Hauses war mit 9 Friedenskronen – MieterInnen anfangs sehr schlecht und ist nach den Investitionen in nun neu vermietete Wohnungen deutlich besser. Die Wohnfläche hat sich von 760 auf 1100 m² erhöht, die BewohnerInnenzahl von 18 auf 34 fast verdoppelt; 40 Mannjahre Arbeit wurde gegeben – Sanierung hat ein riesiges Potential für ökologisch verträgliche Beschäftigung.

Wir wollen junge Familien in die Stadt ziehen. Kinder benötigen bis ins Teenager-Alter wenig Freiraum – unser 180 m² großer Garten wird sehr viel genutzt. Das Elterntaxi ist aufgrund der Lage am Radweg (2 Kinderanhänger im Hauseingang gehen sich gerade aus!) und der guten ÖV-Anbindung praktisch nie nötig. Ein Paar hat vor dem Einzug seine 2 Autos verkauft und nun mit 2 Kindern immer noch keines bzw. leiht sich einmal im Monat eines von anderen MieterInnen oder uns.

Zusammenwirken und Mieter als Kunden

Mietverträge werden einfach gehalten, auf 3 und – bei Passung zum Haus – auf 10 Jahre befristet. Bislang musste kein Vertrag von unserer Seite beendet werden – Mieter sind freilich ausgezogen, weil sie das Studium beendet, für ihre Familie Eigentum geschaffen oder geerbt haben oder aus anderen Gründen weggezogen sind. Mit 3 Altmietern waren wir wegen Nichtnutzung / Leerstand vor Gericht und haben zweimal gewonnen, groben Missbrauch lassen wir uns nicht gefallen. Man lernt viele Menschen kennen über die Jahrzehnte.

Auswirkungen auf Ökologie und Gesellschaft

Mittels zweier Grundwasser – Wärmepumpen konnte das Haus trotz schlechter Dämmung und Radiatoren auf Passivhaus-Niveau (18 kWh/m² inkl. Warmwasser) gebracht werden. Ohne Klimawandel wäre das nicht möglich – das Grundwasser ist bereits 13,3° C warm und die Heizgradtage in Innsbruck sind seit 1980 um 40 % (im letzten Winter um 50 %) gesunken.  Der Fußabdruck für Wärme beträgt bei 250 g CO2/kWh Strom nur mehr 128 kg pro Person und Jahr, eine CO2-Steuer von 200 € pro Tonne würde pro Kopf und Jahr 25,– ausmachen. Ein Bewohner ist Fernpendler und verbraucht mit seinem SUV dreimal so viel Energie wie alle 12 Wohnungen, noch dazu nicht erneuerbar.

Resümee: Eine Bilanzierung für Betrieb und Umbauten eines Hauses ist ein spannender und lehrreicher Prozess. Wir stehen bereit, mit anderen gemeinsam ein Handbuch zu entwickeln, das die Erstellung für Häuser einfacher macht. Die getroffenen Maßnahmen machen allen Beteiligten viel Freude und tragen zu Wertsteigerung und Erhalt des Hauses bei.

Fuchsig mit selbst angebrachter Schafwolldämmung vor den Pufferspeichern und Werkraum
© Heinz Fuchsig
Klimafit bis 2040 sollte das Haus durch Begrünung, Nachtlüften (Stiegenhaus automatisch 02 – 07 Uhr) und Sonnenschutz sein, im Dach wird mit den Wärmepumpen gekühlt.
© Heinz Fuchsig
Hofsicht mit seitlicher Begrünung
© Heinz Fuchsig