In Teil 1 wurden die Grundlagen der Luftdichtheit behandelt.
Strohballenbau im Aufwind
Gebäude sind für 40 % des Energieverbrauchs und 36 % der Treibhausgase in der EU verantwortlich [1]. Während der Energiebedarf von Gebäuden in der Betriebs- und Nutzungsphase im Laufe der Jahre stark reduziert werden konnte, nimmt der Anteil der Errichtung am Energiebedarf aufgrund aufwendigerer Konstruktionen und höheren Materialeinsatzes stetig zu [2]. Die Ökologie der Konstruktion gewinnt dadurch immer mehr an Bedeutung, was in den letzten Jahrzehnten zu einer Wiederentdeckung des Baustoffs Stroh geführt hat. Die Anzahl der Gebäude in Strohbauweise in Europa steigt deswegen jährlich weiter an. Bei der Errichtung von Strohballengebäuden besteht eine übliche Vorgehensweise darin, die Baustrohballen auf der Innenseite direkt mit Lehm zu verputzen. Ökologisch gesehen ist diese Kombination im Vergleich zu konventionellen Bauweisen hervorragend. [3]
Neben guter Wärmedämmung und guten ökologischen Werten haben solche diffusionsoffenen Aufbauten weitere bauphysikalische Vorteile. So kann ein hohes Austrocknungspotenzial das Abtrocknen unvorhersehbarer Wassereinbrüche ermöglichen, was die Konstruktion unanfälliger für Bauschäden macht [4]. Stroh ist dennoch ein organischer Baustoff und muss deshalb speziell vor langanhaltender, hoher Feuchtigkeit geschützt werden [5]. Wie im konventionellen Holzbau muss deswegen auch im Strohbau mithilfe einer hinsichtlich sd-Wert ausreichend dimensionierten Dampfbremse schädliche Kondensation im Bauteil vermieden werden. Damit der Lehmputz als Dampfbremse wirksam werden kann, ist eine ausreichende Luftdichtheit Voraussetzung. In der bekannten Literatur zum Strohballenbau bildet die luft- und dampfdichte Schicht meist allein der Lehmputz, der die damit einhergehenden Anforderungen erfüllen muss.
Luftdicht durch Lehmputz
Als Diffusionswiderstand für trockene Lehmputze wird in DIN 4108-4 ein μ-Wert von 10 angegeben, der durch Messungen von industriell hergestellten Lehmputzen bestätigt werden konnte [6]. Der resultierende sd-Wert wird hauptsächlich durch die Schichtdicke, aber auch durch Anstriche und Zusätze beeinflusst. Hinsichtlich der Luftdichtheit von Lehmputzen gibt es nur wenige Untersuchungen. Eine Messung der Luftdurchlässigkeit eines Bauteils mit einer luftdichten Ebene aus Lehmputz im Laborprüfverfahren nach ÖNORM EN 12114 ist nicht bekannt. Bei In-situ-Messungen wurde bei Außenwänden in Blockbauweise mit einer innenliegenden Lehmputzschicht eine Luftdichtheit ähnlich einer Betonwand erreicht, bei der messtechnisch kein Luftdurchgang mehr festgestellt werden konnte [7]. Es wird deshalb angenommen, dass auch die von Zeller [8] vorgeschlagene maximal zulässige Luftdurchlässigkeit für Bauteile von q50 ≤ 0,10 m3/(m2·h) von einer intakten Lehmputzschicht erreicht werden kann. Vermieden werden müssen in jedem Fall Risse durch thermische Ausdehnung, Quellen und Schwinden. Entstehen dennoch Risse, müssen diese zeitnah ausgebessert werden. Ob eine ausreichende Luftdichtheit durch oberflächliches Verspachteln wieder erreicht werden kann oder ob eine umfangreichere Sanierungsmaßnahme vonnöten ist, wurde bisher noch nicht genauer untersucht.
In der Praxis erreichen innen lehmverputzte Strohballengebäude meistens eine zufriedenstellende Gebrauchstauglichkeit [9, 10, 5, 11]. Fehleranfällig sind wie so oft Anschlüsse und Durchdringungen der luftdichten Ebene, außerdem ist die Rissfreiheit der Putzschicht nicht zweifelsfrei mit freiem Auge beurteilbar [12]. Diese Fehlerquellen gilt es im modernen Strohballenbau zu minimieren, was beispielsweise durch das Erarbeiten neuer Anschlussmöglichkeiten und das Beimengen von Zusätzen wie Fasern zum Lehmputz versucht wird. Eine Möglichkeit ist auch der Einsatz von Dampfbremspapier, das an neuralgischen Stellen der luftdichten Ebene Bauschäden vermeiden kann [13]. Eine weitere Möglichkeit ist der Einsatz eines in Lehm getränkten Vlieses, das als zusätzliche Armierung dienen kann [14]. (Eine genauere Betrachtung dieser Lehmvlies-Technik erfolgt im nächsten Newsletter.)
Die Rolle von Lehmputz in den einschlägigen Normen
Abseits von Einfamilienhäusern wird Lehmputz selten als Material der luftdichten Ebene verwendet. Dass grundsätzlich mit Lehmputz eine dauerhaft luftdichte Gebäudehülle erzeugt werden kann, scheint nach einem ersten Blick in die vorhandene Literatur als erwiesen [9, 10, 5, 11]. Da es sich aber in gewisser Weise noch immer um eine experimentelle Bauweise handelt, sind aktuelle wissenschaftliche Betrachtungen zu gewissen Aspekten nur spärlich vorhanden. Auch in den in Österreich aktuellgeltenden Normen spielen Lehmputz und Strohballenbau nur eine untergeordnete Rolle. Da Professionist:innen aus haftungsrechtlichen Gründen vorrangig den Empfehlungen der einschlägigen Normen folgen, liegt ein möglicher Grund für die Zurückhaltung bei der Verwendung von Lehmputz als luftdichte Ebene in den dortigen Formulierungen.
Empfehlungen für die Planung und die Ausführung der luftdichten Ebene von Holzhäusern und Holzfertighäusern gibt ÖNORM B 2340. Als mögliche Materialien zur Herstellung der luftdichten Ebene ist neben den konventionellen Bahnen- und Plattenwerkstoffen, Flüssigkunststoffen und Dicht- und Klebematerialien auch Putz angeführt. Im Gegensatz zu den konventionellen Materialien wird auf Putz in weiterer Folge jedoch nicht näher eingegangen. Die Innenputze behandelnde ÖNORM EN 13914-2 führt Lehmputz an, gibt aber nur Empfehlungen zu konventionellen Putzarten. Die Norm besagt zudem, dass Putze auf Mauerwerk die Funktion einer luftdichten Ebene erfüllen können, woraus häufig abgeleitet wird, Putz könne nur auf Massivbaustoffen eine luftdichte Ebene bilden. Dies steht zwar im Gegensatz zur Aussage von ÖNORM B 2340, führt aber oft dazu, dass – häufig aus haftungsrechtlichen Gründen – die Luftdichtheit durch eine zusätzliche Schicht eines Bahnen- oder Plattenwerkstoffs hergestellt wird. Die zusätzliche Bauteilschicht führt in der Regel zu höheren Baukosten und kann die ökologischen Kennwerte einer Konstruktion herabsetzen.
Eine Konkretisierung der einschlägigen Normen hinsichtlich der Luftdichtheit von Lehmputz auf nichtmassiven Untergründen könnte deshalb dabei helfen, die Errichtung und Entsorgung von Gebäuden nachhaltiger zu gestalten. Um eine fundierte und belastbare Aussage treffen zu können, ist weitere Forschung zu diesem Thema wünschenswert.
Erstquelle dieses Beitrags: Pichler, Paul: Herstellung einer luftdichten Ebene mit Lehmputz und Lehmvlies im Strohbau. [Masterarbeit] BOKU, 2024.
Teil 3 wird im nächsten IBO Newsletter erscheinen.
Quellen:
[1] Europäisches Parlament: Energieeffizienz von Gebäuden: Abgeordnete erzielen Einigung mit dem Rat | Aktuelles | Europäisches Parlament. 2023 Online im Internet: URL: https://www.europarl.europa.eu/news/de/press-room/20231204IPR15651/energieeffizienz-von-gebauden-abgeordnete-erzielen-einigung-mit-dem-rat, Zugegriffen am: 15 Jän. 2024.
[2] Holm, Andreas H.; Kagerer, Florian: Graue Energie von Einfamilienhäusern in Niedrigstenergie‐Gebäudestandard. Mauerwerk, 23(2), Seiten 112–122. 2019.
[3] Bernard, Tomasz; Azra, Korjenic; Bednar, Thomas: Bautechnische, ökologische und ökonomische Grundlagen der Planung von Strohballen‐Gebäuden – Literaturzusammenstellung und Analyse des thermischen Leitwertes der Gebäudehülle. Bauphysik, 36(3), Seiten 134–143. 2014.
[4] Wimmer, Robert; Hohensinner, Hannes; Janisch, Luise; Drack, Manfred : Wandsysteme aus nachwachsenden Rohstoffen. - Wien: BMVIT, 2001.
[5] Minke, Gernot; Krick, Benjamin: Handbuch Strohballenbau: Grundlagen, Konstruktionen, Beispiele. 4. erweiterte und aktualisierte Auflage 2023 Aufl. - Rastede: Ökobuch, 2023.
[6] Lerch, Simon [VerfasserIn]: Wasserdampfdiffusionswiderstand von Lehmputzen und Lehmputz-Modifikationen. [Masterarbeit] BOKU, 2023 Online im Internet: URL: https://permalink.obvsg.at/bok/AC17027281, Zugegriffen am: 1. Feb. 2024.
[7] Geyer, Christoph: Erzielung der Luftdichtheit durch den Einsatz von Lehm. [online] 2023 Online im Internet: URL: https://arbor.bfh.ch/20645/, Zugegriffen am: 2 Jän. 2024.
[8] Zeller, Joachim: Luftdichtheitsanforderungen an Materialien – Wie dicht müssen Bauprodukte sein, die die Luftdichtheit herstellen sollen? [online] 7th International BUILDAIR-Symposium. - Stuttgart, 2012 Online im Internet: URL: https://www.aivc.org/sites/default/files/Zeller_BUILDAIR2012_dt.pdf, Zugegriffen am: 1. Feb. 2024.
[9] FASBA: Strohbaurichtlinie SBR-2019. - Verden: Fachverband Strohballenbau Deutschland e.V., 2019 Online im Internet: URL: https://fasba.de/fachinformationen/strohbaurichtlinie/, Zugegriffen am: 1. Feb. 2024.
[10] Gruber, Herbert; Gruber, Astrid; Santler, Helmuth: Neues Bauen mit Stroh in Europa. 4., völlig überarbeitete und ergänzte Auflage Aufl. Faktum. - Staufen bei Freiburg: Ökobuch, 2012.
[11] Steen, Athena Swentzell Hrsg.: The straw bale house. A real goods independent living book. - White River Junction, Vt: Chelsea Green Pub. Co, 1994.
[12] Ehling, Robin: Vergleich dreier Bauvorhaben und konstruktiven, ausführungstechnischen und bauphysikalischen Aspekten. Masterarbeit. Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur, 2020.
[13] Merz, Otto: 18 Jahre Strohballenbau ohne Schäden - Architekt Otto Merz berichtet über seine Erfahrungen mit der Strohballenbauweise. dach+holzbau. Online im Internet: URL: www.dach-holzbau.de/artikel/18-jahre-strohballenbau-ohne-schaeden-3576665.html, Zugegriffen am: 15 Jän. 2024.
[14] Kirl, Herbert; Meingast, Roland: Optimierung ökologischer Konstruktionskomponenten für die industrielle Serienproduktion von Fertigteilen „System Lehm-Passivhaus Tattendorf“. Berichte aus der Energie- und Umweltforschung 5/2012. [Projektbericht] - Wien: BMVIT, 2012 Online im Internet: URL: nachhaltigwirtschaften.at/de/hdz/projekte/optimierung-oekologischer-konstruktionskomponenten-fuer-die-industrielle-serienproduktion-von-fertigteilen-system-lehm-passivhaus-tattendorf.php, Zugegriffen am: 1. Feb. 2024.